Plädoyer Oswald Sigg

Die Welt, die Erde auf der wir leben, gehört uns allen. Eigentlich. Denn es gibt Leute, die ein winzig kleines Stückli der Erde gekauft und darauf ein Haus gebaut oder das ganze Anwesen geerbt haben. Früher stand dort beim Garagenvorplatz ein Schild: Privat. Betreten verboten. Heute sind die Zugänge zu den Liegenschaften elektronisch gesichert und hermetisch verschlossen.

Ein paar Bahn- und Metrostunden weg von hier, an den Rändern von Paris zum Beispiel, gibt es Menschen, die auf der Strasse leben und sterben. 2020 starben auf diese Art in Frankreich 452 obdachlose Personen. Das Kollektiv ‚Les Morts de la Rue‘ schreibt, real könnten es auch 2’712 Menschen gewesen sein, die insbesondere an den Rändern der Grossstädte Paris, Marseille und Lyon infolge Ausgrenzung und Krankheit in den Tod getrieben wurden (http://www.mortsdelarue.org/spip.php?article14). Sie sind an einer einfachen und geradezu antiken Krankheit gestorben: Armut.

Wiederum ein paar wenige Bahnstunden weg von hier, in Deutschland, trifft man auf Menschen, die von Hartz4 leben müssen und daran regelrecht kaputt gehen. Auch hier gab es NGOs, welche über die Todesopfer dieses Sozialhilfesystems aus der Aera des SPD-Bundeskanzlers Gerhard Schroeder Buch führten. Heute spricht man in Deutschland eher über die – besonders unter der Corona-Krise – wachsende Kinderarmut. (https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/291_2020_BST_Facsheet_Kinderarmut_SGB-II_Daten__ID967.pdf). Und seit langem stimmen immer mehr Kritikerinnen und Kritiker dieser abnormen Zustände in der Forderung überein, die herrschende Sozialpolitik durch das bGE – das bedingungslose Grundeinkommen – zu ersetzen.

Oekonomisch betrachtet entsteht Armut einerseits durch Vererbung. Auch in der Schweiz haben die Kinder einer armen Familie noch immer zu wenig Chancen, sich durch gute Ausbildung und berufliche Praxis in die Wohlstandszone hochzuarbeiten. Seit zwei Jahren steigt die Armutsquote in der Schweiz stark (https://www.caritas.ch/de/news/die-armut-in-der-schweiz-bleibt-hoch-deutlich-mehr-kinder-betroffen.html). Anderseits gibt es gerade bei uns einen grossen Anteil un- oder zu tief bezahlter Arbeit. Vor allem für Schweizerinnen und für Ausländerinnen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen wurde schon 2013 die erste Eidg. Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen bei der Bundeskanzlei eingereicht und zur Abstimmung vom 5. Juni 2016 gebracht.

In der Zwischenzeit hat sich die soziale und wirtschaftliche Lage – nicht allein in der Schweiz – drastisch verschärft. Wann wenn nicht jetzt – haben wir uns gesagt – und die zweite Volksinitiative für ein finanzierbares bedingungsloses Grundeinkommen als Projekt gestartet. Diesmal soll das bGE2 – gemäss dem neuen Initiativtext – über die Besteuerung des gesamten bargeldlosen Zahlungsverkehrs finanziert werden. Alle unsere elektronischen Zahlungen werden mit einer Steuer im niedrigen Promillebereich belastet werden. Für uns wird diese Steuer kaum spürbar sein. Jedoch stammen über 90% des Zahlungsverkehrs von der Finanzwirtschaft. Ihre Umsätze und Gewinne steigen – selbst in Corona-Zeiten. In den Jahren 2014, 2016, 2017, 2019 und 2020 erzielte die Schweiz. Nationalbank Gewinne zwischen 20 und über 50 Milliarden Franken (https://www.swissinfo.ch/ger/geldpolitik_wohin-gehen-all-die-von-der-nationalbank-angehaeuften-milliarden-/45482554). Der ganze Finanzplatz Schweiz hingegen generiert einen bis anhin unbesteuerten Zahlungsverkehr von weit über einer Million Millliarden Franken (https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20183582).

Die Welt gehört uns allen. Alle sollen an ihrem Reichtum teilhaben. Weltweit betrachtet ist die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie ein Zukunftslabor. Darin soll der Versuch gewagt werden, unser Land über ein neues Sozialwerk in der Tradition der AHV zu ändern. Entsprechend den berühmten Worten in der Präambel der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: „…dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen.“