Interview mit Elli von Planta zum Thema Grundeinkommen
Bis 2010 arbeitete Elli von Planta bei der UBS, wo sie als Präsidentin der Arbeitnehmervertretung und während der Finanzkrise von 2007 bis 2011 die Interessen von über 20’000 Mitarbeitenden vertrat. Als alleinerziehende Mutter von vier Kindern schloss sie 1992 ein Jus-Studium an der Universität Basel ab. Seit 2011 präsidiert sie das Gremium der Sozialkonferenz Basel. Sie ist im Initiativkomitee für das neue Grundeinkommen Schweiz.
Elli von Planta, was ist das Grundeinkommen?
Das Grundeinkommen ist eigentlich eine ganz alte Idee, die immer wieder aufploppt. 1776 hat bereits Thomas Paine (einer der Gründerväter der USA) darüber nachgedacht. Es geht darum, den Menschen, die das nötig haben, eine Existenzgrundlage zu sichern.
Wem nützt das Grundeinkommen?
Das Initiativkomitee der zweiten Grundeinkommensinitiative in der Schweiz schaut das Grundeinkommen als Versicherung an. Eine Versicherung gegen Angst, Abhängigkeit und Armut. Ausbezahlt sollen es nur die bekommen, die gar kein Einkommen haben, die heutigen SozialhilfeempfängerInnen, aber auch Mütter und Väter, die nicht erwerbstätig sind, ehrenamtlich Tätige, Menschen in Ausbildung und Kulturschaffende, die ohne Einkommen sind. Und der Lohn derjenigen, die weniger als das Grundeinkommen verdienen, würde bis zu dessen Höhe aufgestockt werden.
Und wem schadet das Grundeinkommen?
Den Menschen, die von der Abhängigkeit anderer profitieren.
Wieso haben die rechten und sogenannten bürgerlichen Parteien Angst vor
dem Grundeinkommen?
Ich weiss gar nicht, ob die Aussage so stimmt. Die Linken, also die Gewerkschaften, sind auch dagegen. Immerhin wurde das Recht auf Arbeit einst erstritten und ist auch in der Menschenrechtskonvention festgeschrieben. Gewisse Kreise können sich nicht vorstellen, Einkommen und Arbeit zu entkoppeln. Diese alten Mantras „Ora et labora“ oder auch „Nur wer arbeitet, soll essen“ sitzen tief. Dass über die Hälfte der Arbeit in der Schweiz, nämlich 55%, unbezahlt verrichtet wird, und diese Leistungen im Bruttosozialprodukt gar nicht vorkommen, wird verdrängt.
Ist das Grundeinkommen nicht eine Utopie?
Ja, so utopisch, wie es die Bürgerrechte, die AHV oder das Frauenstimmrecht auch einmal waren.
Es würde unser System komplett umkrempeln, warum sollten wir das tun?
Weil ich keine bessere Idee kenne, mit der wir die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft ganzheitlich anpacken können. Menschen können sich nur dann entfalten, wenn sie keine Angst haben müssen. Das ist übrigens eine sehr liberale Idee. Eine finanzielle Existenzsicherung ist ein wirksames Mittel gegen Angst.
Wie finanzieren wir das Grundeinkommen?
Wir würden den Finanzsektor und die grossen TechUnternehmen zur Kasse bitten, weil diese Bereiche der Volkswirtschaft keine angemessenen Steuern zahlen. Ihre Lobby war auch immer stark genug, um eine faire Besteuerung zu verhindern. Durch das Grundeinkommen könnten zusätzlich bestehende Kosten eingespart werden: Abbau der Bürokratie von Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe, sowie Einsparungen im Gesundheitswesen, weil Menschen weniger unter Druck und Stress
stehen und so weniger an psychischen Problemen erkranken und erschöpfungsbedingt verunfallen.
Wer putzt die öffentlichen WCs, wenn wir das Grundeinkommen haben?
Wenn wir aufhören, die einen Tätigkeiten für verachtungswürdig, andere für erstrebenswert zu halten, vor Wirtschaftskriminalität so lange die Augen verschliessen, wie damit viel Geld zu verdienen ist, aber alleinerziehende Mütter zum Sozialamt schicken, wenn wir damit aufhören, dann ist „Dreck-Wegmachen“ nicht verpönt, sondern gesellschaftlich geschätzt. Vor allem müssen diese Jobs dann so gut bezahlt werden, dass sie jemand macht, dass sich sicherlich Menschen finden, die dieses Geld verdienen wollen.
Was hat das Grundeinkommen mit Frieden zu tun?
Ein Grundeinkommen würde vielen Menschen die Angst nehmen, die Angst vor Armut und dem damit verbundenen würdelosen Spiessrutenlauf zu den
Behörden. Wir hätten eine Wahl. Die Leute lebten selbstbestimmter. Angst führt regelmässig zu Gewalt – gegen andere, aber auch gegen sich selbst.
Gibt es weitere positive Aspekte?
Die Wirtschaft müsste sich ganz anders aufstellen, wenn die Menschen diese Wahl hätten, zu arbeiten oder eben auch nicht zu arbeiten. Die Arbeitswelt übt viel Druck aus, der krank macht und wenig Freude. Ausserdem heisst es, ein Drittel der Jobs seien Bullshits-Jobs, d.h. die Arbeitenden selbst sehen keinerlei Sinn in dem, was die machen. Und ja, die Wirtschaft müsste nachhaltiger werden, den Wachstumsimperativ und den Sachzwang des Egoismus aufgeben. Auch könnte man nicht mehr ständig damit drohen, dass ja die Arbeitsplätze wegfallen. Das tun sie nämlich sowieso. Ein weiter positiver Aspekt wäre die Weiterentwicklung der Sozialwerke.
Die Erwerbsarbeit wird uns mit galoppierender Digitalisierung ausgehen. Wer soll dann unsere Sozialversicherungen alimentieren?
Das wird alles nicht von heute auf morgen passieren. Wir müssen uns das vielleicht so vorstellen wie mit der Einführung der Demokratie. Das ist eine Entwicklung, die Schritt für Schritt zu machen ist. Die AristokratInnen von 1789 sind heute die Kreise, von denen wir schon gesprochen haben: Sie können sich eine andere Welt gar nicht vorstellen und sehen nur, was sie selbst an Privilegien verlieren.
Was kann ich tun, wenn ich die Idee gut finde?
Unterschriften sammeln, Unterschriften sammeln, Unterschriften sammeln! Selbst die, die dagegen sind, sollten unterschreiben. Denn bei der Abstimmung können sie ja dann Nein stimmen. Aber wir brauchen die Debatte darüber, wie wir in Zukunft leben wollen. Diese Debatte gibt es nur, wenn es zu einer Abstimmung kommt, und zu einer Abstimmung kommt es nur, wenn wir die 120’000 Unterschriften bis zum Februar 2023 zusammenbringen. Die Hälfte der Sammelzeit ist bereits vorbei und es sieht nicht gut aus. Auf unserer Homepage kann man sich Unterschriftenbögen herunterladen und sich auch sonst einbringen.
Die Fragen stellte Charlotte Bhattarai für IFOR Schweiz